DER WIND
Ach, es gibt nicht viel zu sagen über den Wind,
außer dass er mit einem Geist verwandt ist.
Er ist nicht in lederne Schläuche eingeschlossen, er hat
keinen festen Wohnsitz und er ist auch kein Untertan
eines Königs, weil er selbst König ist. Er weht,
wo und wann er will, bläht
unversehens mächtige, unsichtbare
Backen auf: wer könnte sich eines solchen
hoheitlichen Rechts rühmen? Ein unsteter Pilger,
kennt er alle Stimmungen: er verursacht und reißt nieder,
befruchtet und lässt vertrocknen. Du weißt nie,
ob er in seinem Sack Wut
oder Zärtlichkeit versteckt, Schmeichelei oder Rache.
Er ist mit allen und mit niemandem befreundet,
obwohl er die Sippe der Wolken bevorzugt,
wenn er mit ihnen sonderbare Figuren zeichnet:
Schafe, Tauben, lachende Gesichter oder grausige
Münder. Manchmal ruht er sich am Straßenrand aus
wie ein müder Zigeuner
oder er verschwindet in den W ldern und entzündet
purpurrote Flammen und seltsame Musik,
zum Schrecken der Insekten und der neugierigen Vögel.
Ich liebe ihn, weil er die Erde berührt, aber nicht bewohnt.
MARIO ANDREA RIGONI (geboren 1948 in Asiago – gestorben 2021 in Biadene di Montebelluna) war emeritierter Professor für Italienische Literatur an der Universität von Padua. Er war ein namhafter Experte für Leopardi, Freund, Korrespondent und Übersetzer von E.M.Cioran, langjähriger Mitarbeiter an der Kulturberichterstattung der Tageszeitung „Il Corriere della Sera“, Essayist, Kritiker, Autor von wissenschaftlichen Werken, Erzählsammlungen und Aphorismen.
Dieser Lyrikband, erschienen unter dem Titel „Colloqui con il mio demone“ im Verlag Elliot in Rom im Jahre 2021, wird derzeit auch ins Spanische und Französische übersetzt. Im selben Verlag erschien 2022 ein zweiter Lyrikband mit dem Titel „Immanenza“.
Übersetzt von Franziska Raimund.