In den Masken des Widerstands geht es um die durchaus nicht selbstverständlichen Beziehungen zwischen meinem ich und allen Anderen. Die Analyse der indigenen Geschichte und Gegenwart Mesoamerikas zeigt aus einer philosophischen Perspektive, dass die Konstitution eines jeden ich als ein bestimmter subjektiver Entwurf im Hinblick auf die Anderen erfolgt. Denn wir sind genötigt, den Anderen einen Sinn zu geben, um uns selbst zu begreifen.
Gestützt auf eine solche dekolonialisierende Herangehensweise werden die Aufstandsbewegungen in den Regenwäldern von Mexiko und Guatemala in den Blick genommen. Am Beispiel der maskierten ›Heiligen‹ der Maya im Hochland von Guatemala und der ebenfalls maskierten aufständischen Zapatistas im Südosten von Mexiko wird die enge Verbindung von Spiritualität und Politik im indigenen Widerstand verständlich gemacht.
In diesen Kämpfen für eine ›Welt, in der viele Welten Platz haben‹ ist eine Vielheit von Masken an die Stelle des einheitlichen Subjekts getreten, das die Revolutionen des 20. Jahrhunderts im Proletariat zu finden hofften. Durch diese Masken werden Subjektivierungsweisen möglich, in denen das ich den Anderen begegnet und Differenz als Bereicherung erfahrbar wird. In den sozialen Auseinandersetzungen der Gegenwart haben die indigenen Bewegungen eine große moralische Bedeutung erlangt, da ihre politischen Forderungen auf die dringend notwendige Anerkennung der Andersheit der Anderen abzielen.
Der indigene Anspruch auf die Anerkennung von Vielfalt und Differenz stützt sich auf andere soziale, ökonomische und symbolische Formen von Sinn, Wert und Bedeutung. Ihre fortdauernde Existenz nach mehr als fünfhundert Jahren Widerstand ist das Ergebnis einer spirituell und politisch motivierten gesellschaftlichen Dynamik, die den Respekt vor der Würde der Anderen einfordert.
Die Vorstellung von Mesoamerika, die Existenz eines gemeinsamen kulturellen Raumes, der sich von Mexiko über Guatemala, Belize, Honduras bis nach Salvador, Nicaragua und Costa Rica erstreckt, benötigt keine lange Verteidigung, da die Ähnlichkeiten der hier gebräuchlichen gesellschaftlichen Konzepte manifest sind. Die Struktur des Universums, die Kosmogonien, Kalendarien, Riten, Mythen, Legenden, magischen Prinzipien und Praktiken, Götterwelten und Widerstandsformen verfügen in Mesoamerika über vielfältige Maskierungen; aber im Grunde ist es unbezweifelbar, dass ihre charakteristischen Begriffe miteinander korrespondieren.
Tom Waibel arbeitet als Autor, Philosoph und Übersetzer an der Schnittstelle von politischer Theorie und künstlerischer Praxis. Er war viele Jahre mit einem Wanderkino in den Bergen und Regenwäldern Mittelamerikas unterwegs.